Die Entscheidung des Landgerichts Braunschweig im Osterloh-Verfahren war ein Knall – und stößt an der University of Labour auf deutliche Kritik. Denn das Landgericht vernachlässigt entscheidende Aspekte beruflicher Qualifizierung und berücksichtigt nicht hinreichend den Stand der Entwicklung in der betrieblichen Praxis. Die Begründung des Urteils birgt die Gefahr einer Entwertung von Bildung, Qualifikation und Professionalität in der Betriebsratsarbeit, die für die Bewältigung der gegenwärtigen und kommenden Herausforderungen in der Arbeitswelt jedoch unverzichtbar sind.
In dem strafrechtlichen Verfahren gegen verschiedene Vorstände der Volkswagen AG war das Gericht der Frage nachgegangen, ob eine höhere Bezahlung von Betriebsräten eine Untreue gegenüber dem Unternehmen darstellen könne. Dazu führt das Gericht in seiner Entscheidung aus, dass es strafbar sei, freigestellten Betriebsratsmitgliedern in herausragender Position höhere Gehälter zu zahlen, als sie bei ihrer vorherigen Beschäftigung erhielten. Mit den am Verhandlungstisch sitzenden Managern seien sie nicht vergleichbar, denn Manager hätten sich ihr Gehalt durch eine lange Ausbildung erarbeitet. Selbst die Qualifizierungen, die Betriebsräte im Rahmen ihrer Betriebsratstätigkeit erwerben, dürften nach der Argumentation des Gerichts nicht herangezogen werden, weil dies dem Ehrenamtsprinzip widerspreche und eine Bevorzugung darstelle.
Kritik an Urteilsbegründung
Nach Ansicht der Juristen an der University of Labour, Prof. Dr. Philipp Donath und Dr. Andreas Engelmann, überzeugt die Begründung nicht. „Die Urteilsbegründung wird weder den betriebsverfassungsrechtlichen Besonderheiten noch dem Entwicklungsstand der betrieblichen Praxis gerecht“, so urteilen die beiden Experten. Die Tätigkeit des Betriebsrats stellt nach geltender Rechtslage ein Ehrenamt dar, worüber kein ersichtlicher Streit besteht. Das ist auch sinnvoll, weil es sich einerseits um ein temporäres Wahlamt handelt und andererseits keine finanziellen Anreize zur Ausübung des Amtes geschaffen werden sollen. Davon zu unterscheiden ist jedoch die Frage, welche Qualifikationen und Fähigkeiten für die Bewertung der Arbeitsleistung bei freigestellten Betriebsräten herangezogen werden dürfen.
Hier hat das LG Braunschweig eine zu restriktive Auslegung gewählt. Der Sache nach argumentiert das Gericht, jede auf die Betriebsratstätigkeit bezogene Fähigkeit oder Qualifikation sei wegen des Ehrenamtsprinzips ein für die Bemessung des Entgelts unzulässiger Anknüpfungspunkt. Das ist unzutreffend. Zwar ist korrekt, dass niemand wegen seiner Betriebsratstätigkeit „bevorzugt oder benachteiligt“ werden darf. Allerdings folgt daraus nicht, dass beim Gehalt keinerlei Spielräume bestehen. Denn § 37 Abs. 4 BetrVG legt insofern lediglich fest, dass das Arbeitsentgelt „nicht geringer bemessen werden [darf] als das Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung“.
Eine Bevorzugung im Sinne des § 78 BetrVG liegt vor, wenn es für die differenzierende Behandlung an sachlichen Gründen fehlt. Das ist aber gerade dann nicht der Fall, wenn die besondere Fähigkeit und Qualifikation einer Person bei ihrer Entlohnung berücksichtigt wird. Freigestellte Betriebsräte haben in komplizierten Angelegenheiten der Personalplanung, Personalentwicklung und Zukunftsfähigkeit des Unternehmens oft nicht weniger Erfahrung als Manager. Eine sachliche Bewertung dieser Fähigkeiten ist deshalb nicht automatisch eine Bevorzugung aufgrund der Tätigkeit als Betriebsrat, sondern wird vielmehr den erheblichen Qualifizierungsanstrengungen von Betriebsräten gerecht. Ob sich diese Fähigkeiten auch auf dem weiteren Markt realisieren ließen, ist insofern unerheblich, weil die Referenzgröße die Leistung für das konkrete Unternehmen und seine Beschäftigten ist.
Schritt in die falsche Richtung
„Es ist vollkommen klar: Nur mit bestens qualifizierten Betriebsräten lassen sich Herausforderungen wie die Transformation oder die Digitalisierung im Sinne der Beschäftigten bewältigen. Mitbestimmung auf Augenhöhe ist anders nicht möglich“, so Rainer Gröbel, Kanzler der University of Labour. „Die fehlende Berücksichtigung der wichtigen Fähigkeiten und Qualifikationen von Betriebsräten durch das Urteil des Landgerichts ist deshalb ein fatales betriebspolitisches Zeichen. Die oft gewaltigen Qualifizierungs- und Professionalisierungsleistungen von Betriebsräten müssen angemessen gewürdigt werden.“
Das Urteil des LG Braunschweig markiert damit auch einen dringenden Handlungsbedarf für den Gesetzgeber: Es bedarf der gesetzlichen Klarstellung dahingehend, dass die qualifikationsgerechte Beförderung und Vergütung von Betriebsratsmitgliedern zulässig sind. Ein konkreter Vorschlag für eine entsprechende Neuregelung liegt mit dem Entwurf der DGB-Gewerkschaften für ein modernes Betriebsverfassungsgesetz übrigens bereits vor.