Johanna, im Bereich der Antidiskriminierung sehen wir in den USA gerade einen großen Backlash. Kannst du uns erklären, was da gerade passiert?
In einer seiner zahllosen Exekutivanordnungen hat Trump Programme für Diversität, Gleichberechtigung und Inklusion (DEI) als illegal deklariert. Auch private Unternehmen werden nun aufgefordert, zu bestätigen, dass sie keine DEI-Programme betreiben. Das betrifft auch Unternehmen in Europa und insbesondere Deutschland, die Schreiben von der US-Botschaft erhalten: Sie sollen Fragen zu ihren DEI-Programmen beantworten. Die USA wollen auf diese Weise Druck auch auf europäische Unternehmen ausüben, sich Trumps „anti woke“ Gesetzgebung zu unterwerfen. Der Kulturkampf der „MAGA“-Bewegung erreicht auf diese Weise auch Europa.
Was bedeutet das dann für Unternehmen?
Für den Fall, dass Unternehmen DEI-Maßnahmen beibehalten, werden ihnen Vertragsstrafen und der Ausschluss von Ausschreibungen angedroht. Die Schreiben der US-Regierung richten sich gegen Maßnahmen wie Quoten, Förderung benachteiligter Gruppen und Antidiskriminierungstrainings. Hier gilt es auch für deutsche Unternehmen nun, Farbe zu bekennen. In Deutschland sind sie an ihre gesetzlichen Pflichten gebunden – unter anderem aufgrund des AGG!
Du gibst zusammen mit zwei Kolleginnen einen Kommentar zum AGG raus, mittlerweile in sechster Auflage. Kannst du kurz erklären, was genau das AGG ist?
AGG steht für Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz. Sein Ziel ist laut § 1 „Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.“
Das AGG hat enorme – und man muss sagen: leider sogar zunehmende – praktische Relevanz. Zahlreiche Untersuchungen zeigen: Menschen erleben in Deutschland Diskriminierungen, und zwar nicht nur, aber sehr häufig gerade im Arbeitsleben. Das sind sehr verletzende Erfahrungen, die dem Schutz der Menschenwürde und der Persönlichkeitsrechte durch unsere Verfassung widersprechen. Diskriminierungen führen auch zum Ausschluss von einer gleichberechtigten Teilhabe am Arbeitsmarkt, bei der Wohnungssuche, bei Zugängen zu essenziellen Dienstleistungen. Es geht also um zentrale Bürger*innenrechte. Mit unserem Kommentar wollen wir vor allem Praktiker*innen etwas an die Hand geben, um in den Betrieben und Aufsichtsräten mit dem AGG zu arbeiten.
Was genau regelt das AGG?
Das AGG regelt Diskriminierungsverbote und die Rechte von Beschäftigten, wenn gegen die Verbote verstoßen wird. Es regelt außerdem wichtige Mitbestimmungsrechte zugunsten struktureller Veränderung für mehr Gleichstellung. Und es hält konkrete Pflichten von Arbeitgebern fest. Das AGG verbietet nicht nur Diskriminierungen, sondern verpflichtet Unternehmen auch, sich proaktiv für Antidiskriminierung einzusetzen. Dazu gehören etwa Schulungen zu Diskriminierung für alle Beschäftigten und die konsequente Ahndung von Verstößen im Unternehmen.
Außerdem regelt das Gesetz die Befugnisse der Antidiskriminierungsstelle des Bundes und ihrer Leitung, der Unabhängigen Bundesbeauftragten für Antidiskriminierung. Die Stelle leistet wichtige Arbeit für die Durchsetzung des Gesetzes, für Aufklärung, Forschung und Beratung.
Kannst du kurz erklären, wie das dann konkret funktioniert?
Das AGG stellt konkrete Regeln auf und sieht Beschäftigtenrechte vor. Da sich Arbeitgeber durch das AGG schadensersatzpflichtig machen, wenn sie diskriminieren, sind sie bestrebt, Verstöße gegen das AGG zu vermeiden. Das ist auch zur Prävention wichtig. Bei erfolgten Verstößen hilft es Betroffenen zum Beispiel, dass im AGG eine Erleichterung bei der Beweislast vorgesehen ist. Denn es ist oft schwer für Beschäftigte, nachzuweisen, wie Entscheidungen auf Arbeitgeberseite zustande gekommen sind. Eine in der Praxis leider noch zu wenig genutzte Maßnahme ist die Einrichtung von Beschwerdestellen in Betrieben, an die Betroffene sich wenden können. Damit zeigt man: Wir nehmen das Thema ernst, wir schützen Betroffene, wir lassen Diskriminierungen nicht durchgehen.
Welche Rolle spielt dabei die Mitbestimmung?
Das AGG sieht auch Tarifvertragsparteien und Betriebsräte als wichtige Akteure und stellt eine Verbindung zu den Mitbestimmungsrechten in der Betriebsverfassung her. Solche kollektiven Rechte sind wichtig, denn gerade von Marginalisierung betroffene Personen haben oft nicht die Ressourcen, diskriminierende Strukturen zu verändern. Bedeutsam ist auch die ausdrückliche Erlaubnis, sogenannte positive Maßnahmen durchzuführen. Das bedeutet, gezielt Menschen zu fördern, die von strukturellen Maßnahmen betroffen sind, also beispielsweise Frauenquoten einzuführen oder Menschen mit Behinderung bevorzugt einzustellen. Da sind wir dann wieder genau bei solchen Maßnahmen, die Trump in den USA jetzt verbieten will.
Womit wir wieder beim Anfang angekommen wären. Was lässt sich aus den Entwicklungen in den USA in deinen Augen für die Debatte hierzulande lernen?
Wir sehen deutlich, dass Antidiskriminierungsrecht und seine gesellschaftlichen Errungenschaften auf dem Spiel stehen, wenn autoritäre Kräfte die Macht übernehmen. Große und durchaus mächtige Konzerne in den USA haben sich aber auch schon vor den Gesetzesreformen durch Trump sofort gebeugt, ihre Diversitätsstrategien abgeschafft und die dazugehörigen Programme, Stellen und Verfahren eingestampft. Hier zeigt sich sehr klar: Wenn Bekenntnisse zu Diversität und Vielfalt nur ein „nice to have“ sind, ist der Schutz vor Diskriminierung gerade dann zu gering, wenn es auf ihn ankommt. Für von Diskriminierung betroffene Menschen ist das eine furchtbare Situation in den USA.
Was heißt das für rechtspolitische Debatten in Bezug auf das AGG?
Ich habe in rechtspolitischen Debatten um das AGG hierzulande oft gehört: Gesetzliche Regeln sind nicht nötig, Unternehmen haben doch von sich aus ein Interesse an Diversität, Inklusion und Gleichgestellung, es bedarf keiner Verpflichtungen. Doch die aktuelle Situation beweist leider: Der gesetzliche Rahmen ist absolut notwendig! Und über dem AGG steht unsere Verfassung und europäische Gesetze, die Diskriminierung verbieten.
Das leuchtet absolut ein. Wo siehst du dennoch Lücken im AGG oder Reformbedarfe?
Schon die letzte Koalition hatte sich eine dringend notwendige Reform des Gesetzes vorgenommen, die leider nicht umgesetzt wurde. Nun steht das Vorhaben erfreulicherweise wieder im Koalitionsvertrag. Es hat sehr ausführliche wissenschaftliche Evaluationen des Gesetzes gegeben, die sehr deutlich die Defizite des Gesetzes aufzeigen. Ich habe ja bereits erläutert, wie wichtig kollektive Rechte sind, um diskriminierende Strukturen zu verändern. Das sollte nicht einzelnen Betroffenen überlassen werden. Genau deshalb ist es notwendig, die kollektiven Rechte zu stärken, mehr Mitbestimmung in Gleichstellungsfragen zu ermöglichen und ein Verbandsklagerecht zu schaffen. Derzeit müssen einzelne Betroffene die Gerichtsprozesse führen und sich dabei mit ihrer Diskriminierungserfahrung als Einzelperson der Öffentlichkeit aussetzen.
Ein weiteres wichtiges Regelungsfeld ist außerdem Künstliche Intelligenz. KI – die ja zunehmend auch im Personalwesen eingesetzt wird – bringt neue Diskriminierungsrisiken mit sich, denen im AGG noch besser Rechnung getragen werden sollte. Technologie ist keinesfalls neutral, wie man vielleicht denken könnte. Sie ist menschengemacht und wenn nicht sehr genau darauf geachtet wird, reproduzieren Algorithmen menschliche Vorurteile und Stereotype. Und sind dabei noch weniger durchschaubar als menschengemachte Auswahlprozesse.
Der Basiskommentar zum AGG erscheint aktuell in sechster Auflage beim Bund Verlag und wird von Prof. Johanna Wenckebach zusammen mit Christiane Nollert-Borasio und Dr. Elisabeth Dickerhof-Borello verfasst.