In der Arbeitswelt zeichnet sich seit einigen Jahren ein rasanter Wandel ab. Als Oberbegriff wird von der „Transformation“, der „Digitalisierung“ oder auch von der „vierten Industriellen Revolution“ (BMBF 2018) gesprochen. Informations- und Kommunikationssysteme sowie die Nutzung großer Datenmengen prägen die gesellschaftlichen Zusammenhänge. Die Transformation hat sukzessive eine ‚Arbeitswelt 4.0‘ mit veränderten Anforderungen an die Strukturen, die Prozesse, die darin arbeitenden Menschen und ihre Beziehung zueinander geschaffen. Die technischen Neuerungen haben dabei das Potenzial, den Austausch zwischen Menschen zu fördern, eine bedürfnisorientierte Produktion zu erleichtern und die Arbeitszeit zu verkürzen.
Als Veränderungen im Zuge der Transformation können u.a. ein Bedeutungszuwachs prozessunterstützender Tätigkeiten, veränderte Verantwortung von Fachkräften, Wegfall von Routinetätigkeiten mit zugleich einhergehender steigender Komplexität von (mitunter prozessüberwachenden) Arbeitsaufgaben, eine zunehmende polarisierende Arbeitsorganisation sowie die Ablösung von linearen Prozessabläufen von Prozessnetzen genannt werden (Zinke 2019). In den aktuellen Kräfteverhältnissen kann man die gestiegenen Gefahren von neuer Überlastung bei der Arbeit durch Entgrenzung und Überforderung, die massive Überwachung von BürgerInnen, die Einschränkung von freier Bildung und demokratischen Strukturen und das Drohszenario, dass Menschen vor allem in produktionsnahen Tätigkeiten ihre Arbeit verlieren, erkennen (BMAS 2022).
Es handelt sich hierbei also um tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen und keinesfalls nur um technische Verbesserungen. Sie werden von verschiedenen Interessengruppen unterschiedlich interpretiert und gestaltet. Der betrieblichen Bildungsarbeit kann in diesem Transformationsprozess daher eine Schlüsselrolle zugesprochen werden (Deutscher Gewerkschaftsbund & Deutsche Kommission Justitia et Pax 2021; Zika et al. 2019). So kann nur durch Einbeziehung der Ideen und Engagement der Beschäftigten im Betrieb ein transformativer Umbau gelingen (Otto 2021).
Durch die skizzierten Entwicklungen wird ersichtlich, inwiefern sich berufliche Anforderungen und Tätigkeiten verändern und der „Lernort Betrieb“ erheblich an Bedeutung gewinnt. Transformations- bzw. Digitalisierung(skonsequenzen) stellen in diesem Zusammenhang nicht bloß Zwänge und Grenzen dar, sondern bieten neue Chancen, Gegenstände zu erschließen und den Bewegungsradius zu erweitern (Wienberg 2022; Lerch 2021). Das Lernen am Arbeitsplatz ist und bleibt im Verlauf der Entwicklungen jedoch nicht selbstverständlich, beispielhaft ist hier die fehlende Lernzeit im Zuge der Verdichtung von Arbeitsanforderungen bei höheren Effizienzerwartungen (z.B. digital überwachte Just-in-time-Produktion) zu nennen (Assinger & Webersink 2022). So erfordert beispielsweise die Einführung digitaler Technologien im Prozess der Arbeit eine kontinuierliche Kompetenzentwicklung (BMBF 2022).
Dementsprechend bedarf es – insbesondere in eher „lernfeindlichen Arbeitsumgebungen“ (Ahrens & Gessler 2018) – innovativer Aus- und Weiterbildungsformate, die flexible Qualifikationsanpassungen zulassen (Baumhauer & Meyer 2021; Umbach et al. 2020). Hieraus resultiert eine Entgrenzung und Erweiterung der Lernräume und Selbstlernarchitekturen in der betrieblichen Bildung, in der bislang eher von organisatorisch bestimmten Lernorten die Rede war. Selbstorganisation und Selbstbestimmung in der digitalen Arbeit brauchen eine subjekt- und bildungsbezogene Verankerung und Orientierung, die es im Rahmen einer lern- und kompetenz-förderlichen Arbeitsgestaltung auszubauen und zu gestalten gilt (Dehnbostel 2019; Zinke 2019). Hierzu braucht es zudem Führungskräfte, die den Anforderungen der digitalen Technologien entsprechende Organisations- und Lernkultur etablieren.
Zuerst erschienen ist der Beitrag in der Sonderbeilage der Koordinationsstelle des WBV Saarland in der Saarbrücker Zeitung vom 11.11.2022.
Ahrens, Daniela/Gessler, Michael (2018): Von der Humanisierung zur Digitalisierung: Entwicklungsetappen betrieblicher Kompetenzentwicklung. In: Ahrens, Daniela/Molzberger, Gabriele (Hrsg.): Kompetenzentwicklung in analogen und digitalisierten Arbeitswelten. Berlin: Springer.
Assinger, Philipp/Webersink, Philip (2022): Digitalisierung und betriebliche Bildung. Verflechtung sozio-technischer Prozesse als Referenz für erwachsenenpädagogisches Handeln. Magazin erwachsenenbildung.at – Das Fachmedium für Forschung, Praxis und Diskurs. Ausgabe 44-45, 2022, S. 02/2-09/2.
Baumhauer, Maren/Meyer, Rita (2021): Berufliche Handlungsfähigkeit und Erfahrungswissen: Stellenwert für die Facharbeit in der digitalen Transformation, Eine empirische Analyse am Beispiel der Chemieindustrie. In: Zeitschrift für Arbeitsforschung, Arbeitsgestaltung und Arbeitspolitik. Band 30, Heft 4, S. 263-282.
BMBF (2018): Digitale Wirtschaft und Gesellschaft. Industrie 4.0. Link (Abruf: 15.02.2022).
BMBF (2022): Initiative Digitale Bildung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Link (Abruf: 14.02.2022).
BMAS (2022): Denkfabrik Digitale Arbeitsgesellschaft: Arbeit neu denken. Link (Abruf: 14.02.2022).
Dehnbostel, Peter (2019): Betriebliche Lernorte, Lernräume und Selbstlernarchitekturen in der digitalisierten Arbeitswelt. In: Magazin erwachsenenbildung.at. Das Fachmedium für Forschung, Praxis und Diskurs. Ausgabe 35/36, 2019. Wien. Link (Abruf: 14.02.2022).
Deutscher Gewerkschaftsbund & Deutsche Kommission Justitia et Pax (Hrsg.) (2021): Arbeit in einer nachhaltigen Wirtschaft. Die sozial-ökologische Transformation aus arbeitspolitischer Perspektive. Berlin.
Lerch, Sebastian (2021): (Un-)mögliches Bildungserfahren. Erwachsenenbildung in pandemischer Zeit. In: Erwachsenenbildung -Vierteljahreszeitschrift für Theorie und Praxis. 67.Jahrgang/Heft 4, S. 156-158.
Otto, Klaus-Stephan (2021): Erfolgreiche Transformation durch Mitbestimmung. Hans-Böckler-Stiftung. Link (Abruf: 14.02.2022).
Umbach, Susanne/Haberzeth, Erik/Böving, Hanna/ Glaß, Elise (2020): Kompetenzverschiebungen im Digitalisierungsprozess. Veränderungen für Arbeit und Weiterbildung aus Sicht der Beschäftigten. Bielefeld: wbv.
Wienberg, Jana (2022): Relationale Resonanzstrategien (RRS) in der betrieblichen Weiterbildung und der konfessionellen Erwachsenenbildung. Eine qualitative Untersuchung. Weinheim: Beltz Juventa Verlag.
Zika, Gerd et al. (2019): BMAS-Prognose „Digitalisierte Arbeitswelt“. Kurzbericht. Forschungsbericht 526/1K. Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Link (Abruf: 14.02.2022).
Zinke, Gert (2019): Berufsbildung 4.0 – Fachkräftequalifikationen und Kompetenzen für die digitalisierte Arbeit von morgen: Branchen- und Berufescreening. Bonn.