„Auch Betriebsrät:innen können sich im Entgelt entwickeln“

Professor Andreas Engelmann spricht mit einer Interviewpartnerin. Die beiden stehen im Foyer der University of Labour.

Die Diskussion über die Vergütung von Betriebsräten hat sich ganz schön gezogen. Seit wann gilt die neue Gesetzeslage?

Das Gesetz ist seit dem 20. Juli 2024 in Kraft. Wenn man sich anschaut, dass am Ende alle Fraktionen im Bundestag der Änderung einstimmig zugestimmt haben, fragt man sich, warum das Verfahren fast ein Jahr gedauert hat. Für viele Betriebsrät:innen war die Zeit mit großer persönlicher Unsicherheit über die eigene finanzielle Situation verbunden. Und teilweise auch mit schmerzhaften finanziellen Einschnitten.

Was hat sich mit der neuen Gesetzeslage verändert und wie bewertest du die Veränderung?

Es hat eine kleine, aber wichtige Klarstellung stattgefunden. Vor der Gesetzesänderung war umstritten – auch infolge des berüchtigten BGH-Urteils von Januar letzten Jahres –, ob Qualifizierungen, die in Ausübung des Betriebsratsamts erworben wurde, bei der Vergütung berücksichtigt werden dürfen. Die Gesetzesnovelle stellt nun klar, dass das möglich ist. Für alle unsere Studierenden, die das Studium über § 37 Abs. 6 BetrVG teilfinanzieren lassen, ist das eine gute Nachricht. Denn für sie war umstritten, ob die im Amt erworbenen Qualifikationen berücksichtigt werden können. Es wird also erneut gesetzlich klargestellt, dass Qualifizierungen bei der Vergütung von freigestellten Betriebsrät:innen berücksichtigt werden können.

Kannst du erklären, wie die Berücksichtigung der Qualifizierung funktioniert?

Dafür muss ich etwas ausholen. Das Gesetz verbietet sowohl die Diskriminierung wie auch die Privilegierung von Betriebsratsmitgliedern. Das betrifft auch die Gehaltsentwicklung. Heißt: Ich darf nicht deswegen mehr oder weniger verdienen, weil ich Betriebsrat bin. So weit, so klar. Für die Frage, wann verdiene ich denn mehr oder weniger, gibt es zwei zulässige Betrachtungsweisen, die letztlich beide an der Qualifizierung hängen.

Wie genau funktionieren die beiden Betrachtungsweisen?

Die erste schaut sich an, was ich tatsächlich verdienen würde, wenn ich nicht Betriebsrat wäre. Habe ich nur infolge meiner Betriebsratstätigkeit eine tatsächlich im Betrieb vorhandene Stelle nicht erhalten oder antreten können, für die ich qualifiziert war, dann erhalte ich ein dieser Stelle entsprechendes Entgelt. Die zweite Betrachtungsweise schaut sich an, wer zu Beginn meiner Betriebsratszeit genauso qualifiziert war, wie ich, und bildet eine „Vergleichsgruppe“. Gegenüber der Gehaltsentwicklung innerhalb dieser Vergleichsgruppe darf ich nicht schlechter gestellt sein.

Und welche Auswirkungen hat nun die gesetzliche Neuregelung?

Wie man sieht, kommt es für beide Berechnungsmethoden auf den Qualifikationsstand an. Erwerbe ich in Ausübungen meines Amtes weitere und höhere Qualifizierungen, können die nun problemlos berücksichtigt werden, wenn ich mich für Stellen im Betrieb bewerbe. Das gilt auch, wenn ich mich wegen meines Amtes gar nicht erst bewerbe, aber der geeignetste Kandidat wäre. Und für die Vergleichsgruppe heißt es nun: Eine höhere Qualifizierung ist ein sachlicher Grund, um mich in eine neue Vergleichsgruppe einzugruppieren. Ich hänge also nicht mehr in der alten Gruppe fest, wenn ich entsprechende Qualifikationen habe. Auch Betriebsrät:innen können sich so im Entgelt entwickeln.

Viele Betriebsrät:innen fragen sich jetzt wahrscheinlich: Wie genau komme ich nun von einer Qualifizierung zu einer besseren Vergütung?

Zunächst muss die Weiterbildung betrieblich relevant sein. Das heißt, sie muss für ein vorhandenes Stellen- und Aufgabenprofil im Unternehmen qualifizieren. Insofern stellen sich auch bestimmte Anforderungen an die Qualifizierung. Dann muss es eine freie Stelle im Unternehmen geben, für die man durch die Qualifizierung geeignet ist. Erhält man die Stelle nicht – etwa wegen einer Freistellung –, kann man verlangen, trotzdem nach der höheren Vergütung bezahlt zu werden. Alternativ kann ich verlangen, dass meine Vergleichsgruppe angepasst wird. Wenn die Gehaltsentwicklung von Höherqualifizierten im Unternehmen generell besser ist, kann ich davon profitieren.

Inwiefern erfüllen unsere Studiengänge und unsere Hochschulzertifikate die von dir genannten Anforderungen an Qualifizierungen?

Es kommt, wie gerade erklärt, darauf an, dass die Qualifikation im Betrieb auch gesucht wird. Für unsere Studiengänge wird dies in vielen Fällen zutreffen, insbesondere in größeren Unternehmen. Im Vergleich zum Hochschulzertifikat ist der Studiengang die formell höhere Qualifikation und befähigt damit zu einem breiteren Spektrum von beruflichen Aufgaben. Entsprechend werden unsere Studiengänge regelmäßig mehr Entwicklungs- und Vergütungsperspektiven eröffnen. Je nach Situation und Anforderungsprofil im Betrieb ist es aber auch denkbar, dass etwa einer unserer Diploma of Basic Studies der Anforderung genügt. Diese Frage muss aber in den Betrieben geklärt werden.

Zum Abschluss: Welche Fragen bleiben nun offen und was bedeutet das für die Situation in den Betrieben?

Offen bleibt für mich vor allem die Frage: Wie konnte es jemals umstritten sein, dass einschlägige Qualifizierungen Berücksichtigung bei der Vergütung finden müssen. Aber Spaß beiseite, Vergütungsrechtlich bleibt noch viel zu klären. Hinsichtlich der Qualifizierungen besteht jetzt jedoch Sicherheit: Auch im Amt erworbene Qualifizierungen können berücksichtigt werden. Betriebsrät:innen nutzen die gesetzlichen Möglichkeiten auch bereits, um die Verfahren zur Bildung und Aktualisierung der Vergleichsgruppe durch Betriebsvereinbarung zu regeln. Viele Gewerkschaften bieten dafür nützliche Vorlagen an.

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Beteiligte Person

Prof. Dr. Andreas Engel­mann