Carsten, erst einmal herzlichen Glückwunsch: Du bist gerade zum Betriebsratsvorsitzenden im VW-Werk Kassel gewählt worden. Wenn du auf den Anfang deiner Laufbahn zurückblickst – war das so vorprogrammiert?
Carsten Büchling: Nein. Eigentlich war mein Berufsziel mit 18, Bürgermeister zu werden und ich wollte in die Laufbahn für den gehobenen Beamtendienst. Mein damaliger Mentor war in meiner Gemeinde Bürgermeister und wurde dann SPD-Landtagsabgeordneter. Statt samstags zum Fußball zu gehen oder ähnliches, habe ich lieber mit ihm Wahlkampf gemacht und bin mit einem roten VW-Bus auf alle möglichen Marktplätze gefahren und habe Kalender verteilt. Es gab allerdings nur einen zentralen Behördentest in Kassel und für den war meine Tagesform zu schlecht. Zum Glück hatte ich mich aber auch bei einigen Unternehmen für eine kaufmännische Ausbildung beworben, unter anderem eben bei VW.
Das hat dann aber doch sehr gut gepasst. Mittlerweile bist du seit über 30 Jahren bei VW und seit mehr als 20 Jahren im Betriebsrat. Welches Thema treibt dich in deiner Arbeit momentan besonders um?
Mittlerweile gehöre ich ja zu den alten Hasen. In meiner Gremienarbeit beschäftigt mich das Thema Personalentwicklung im Betriebsrat am meisten, also die Frage: Wo müssen wir als Betriebsrat besser werden, um eine gute Interessenvertretung zu gewährleisten? Das hat sich durch mein Studium an der University of Labor noch einmal sehr verstärkt.
Du hast den Bachelor Business Administration bei uns studiert, der mittlerweile Angewandte Betriebswirtschaftslehre heißt. Wie bist du eigentlich auf uns gekommen?
Im Grunde genommen habe ich auf so eine Gelegenheit nur gewartet. Als ich mich dann genauer mit dem Studienmodell beschäftigt habe, hat es Klick gemacht. Berufsintegrativ – das kannte ich vorher gar nicht. Ich dachte immer, irgendwann mache ich noch einmal berufsbegleitend mein Studium, denn ich wollte ja in meiner Funktion im Betriebsrat bleiben – aber berufsintegrativ war natürlich noch besser.
Was war denn in deinen Augen der Vorteil von berufsintegrativ versus berufsbegleitend?
Der größte Vorteil liegt darin, dass man sich während der gesamten Studienzeit in permanenter kritischer Selbstreflexion mit der eigenen Aufgabe befindet. Denn du wählst dir gleich zu Beginn ein Projektthema, an dem du auch ohne Studium arbeiten würdest. Durch den wissenschaftlichen Background, die Struktur und Aufgabenstellung im Studium, also die kleinen Hausarbeiten etc., wird der Inhalt aus der Vorlesung direkt in deine praktische Arbeit transferiert. Dadurch kommst du zu ganz neuen Erkenntnissen.
Wusstest du von Anfang an, welches Projektthema du bearbeiten willst?
Wir wurden angehalten, das Thema für unser Projekt anfangs allgemein zu halten. Bei mir lautete es: Optimierung der Handlungsmöglichkeiten im Betriebsrat. Ich habe dann erst einmal herausgearbeitet, was den Betriebsrat als Organisationseinheit von klassischen Unternehmensabteilungen unterscheidet. Es gibt z.B. kein Direktionsrecht, aber sehr wohl eine Hierarchie. Mich hat vor allem interessiert, wie man das besonders wichtige Prinzip der Beteiligung verbessert. Was sind Anforderungen und Wünsche der Mitglieder? Wer möchte sich mit welchem Thema beschäftigen – und hat dazu auch die Fähigkeiten. So bin ich dann auch beim Thema Personalentwicklung innerhalb des Betriebsrats gelandet.
Du hast gesagt, dass du im Studium zu ganz anderen Erkenntnissen gekommen bist. Kannst du uns das an deinem Thema genauer erklären?
Ich habe eine Art Kriterienkatalog aus verschiedensten Personalentwicklungsgrundsätzen herausgearbeitet und damit dann mögliche Personalentwicklungsmaßnahmen für unser Gremium systematisiert. Dabei habe ich dann auch berücksichtigt, wann die Leute ins Gremium kommen, also ob zur Wahlperiode oder mittendrin beispielsweise. Und ich habe untersucht, welche Möglichkeiten zur weiteren Qualifizierung unsere Betriebsräte innerhalb ihres Engagements im Betriebsrat haben. Das haben wir durch Einzelgespräche genau analysiert. Im Laufe des Studiums wurde meine allgemeine Projektidee so immer spezifischer und bezog sich mehr und mehr auf meine eigene Tätigkeit.
Damit hast du dir ja quasi ein ganzes Qualifizierungskonzept für dein Gremium im Studium erarbeitet. Was ist mit dem Konzept dann nach deinem Studium passiert?
Wir haben zahlreiche Veränderungen bei uns im Gremium angestoßen. Beispielsweise haben wir den Einstieg in die Betriebsratsarbeit völlig verändert. Es gab vorher kein spezifisches Programm für die Neugewählten. Jetzt haben wir schon in der ersten und zweiten Woche kleine Bildungseinheiten für sie organisiert, damit sie schnell ins Doing kommen und sich in die Betriebsratsteams gut integrieren.
Also eigentlich ein Onboarding-Programm?
Richtig. Wir haben erstmalig einen Onboarding-Prozess etabliert und dafür ganz tolle Feedbacks bekommen. Da waren Kolleg:innen dabei, die schon fünf Mal die Abteilung in ihrem Berufsleben gewechselt haben und die uns gesagt haben: So gut wurden sie noch nie aufgenommen. Das hat mich schon stolz gemacht. Wir haben außerdem auch ein Patenschaftsprogramm entwickelt und den Neulingen jeweils jemanden mit Erfahrung an die Seite gestellt. Auch die Pat:innen haben wir wiederum auf ihre Aufgabe vorbereitet. Das gab es vorher alles nicht. Außerdem haben wir ein Bildungs- und Qualifikationsplanungskonzept entwickelt, mit viel Verbindlichkeit für die Seminare, die Mitglieder besuchen können. Davon haben alle profitiert.
Uns als Hochschule interessiert da natürlich: Hättest du das auch ohne dein Studium geschafft?
In der Qualität und Schnelligkeit auf keinen Fall. Innerhalb des Studiums sind mir außerdem einige Lichter aufgegangen, die in der Umsetzung jetzt elementare Bestandteile unseres Qualifizierungskonzepts geworden sind. Da sind wir wieder beim Studienmodell, weil man so ja jede Idee theoretisch entwickelt und dann in der Praxis auch prüft.
Man forscht nie an der Wirklichkeit vorbei?
Genau das ist der Vorteil des Berufsintegrativen. Das Projektthema muss auch gar nicht während des Studiums abgeschlossen werden. Für mich war während der Arbeit mit dem Background des Studiums immer klar: Was ich hier vorschlage, hat eine wissenschaftliche Tiefe. Das hilft dann auch, die Ideen besser zu präsentieren. Ich konnte Erkenntnisse aus dem Studium gut einbringen und das wurde und wird von Kolleg:innen mit viel Respekt aufgenommen. Das führt dann auch dazu, dass einem innerhalb des Gremiums ganz andere Aufgaben zugetraut werden. Und durch mein Studium kann ich natürlich noch mal ganz andere inhaltliche Impulse in der BR-Arbeit setzen.
Arbeiten und gleichzeitig Studieren klingt auch erst mal anstrengend. Hand aufs Herz: Wie schlimm war für dich die zusätzliche Belastung?
Es war schon eine Herausforderung, zumal ich währenddessen noch einmal Vater geworden bin. Aber man fährt nur alle vier bis sechs Wochen für ein verlängertes Wochenende nach Frankfurt. Zwischendurch hat man dann immer viel Zeit, um die kleinen Hausarbeiten zu schreiben. Und im Sommer hat man mehrere Wochen Pause. Es war gut zu schaffen.
Fehlt dir jetzt nach dem Studium was?
Ich vermisse vor allem die Menschen, die ich durch das Studium kennengelernt habe. Einige von ihnen sind für mich wertvolle und wichtige Partner für den Austausch geworden. Als Kolleg:innen, aber auch als Freunde.
Abschlussfrage: Welches Thema interessiert dich nun als nächstes?
Durch meine Wahl zum Vorsitzenden sitze ich jetzt auch im Gesamt- und im Konzernbetriebsrat. Das verändert natürlich auch noch mal meinen Fokus: Der liegt nun mehr auf der Gestaltung der Transformation in der Automobilindustrie. Jobsicherung und Aufbau neuer zukunftsfähiger Arbeitsplätze sind die neuen großen Überschriften!
Carsten, vielen Dank für das Gespräch.