„Wie kann KI eine Humanisierung von Arbeit ermöglichen?“

Porträtaufnahme von Tobias Kämpf in der University of Labour

Tobias, du hast zusammen mit Kolleg:innen 2019 angefangen, ein Buch über KI zu schreiben. Das war knapp 4 Jahre vor der Veröffentlichung von ChatGPT. Was war eure Motivation für das Buch?

Klar ist, dass Künstliche Intelligenz Arbeit und den Alltag von Beschäftigten verändern wird. Zentral war für uns die Frage: Wie können wir KI in der Arbeit einsetzen, sodass die Arbeit besser wird. Viele Beschäftigte haben Angst, dass sie am Ende mit den neuen Technologien den Ast, auf dem sie sitzen, selbst absägen. In vielen Unternehmen wird KI meist alleine als Kostensenkungstool besprochen. Daher wollten wir einen Perspektivwechsel wagen. Wir wollten herauszufinden, wie KI genutzt werden kann, um eine Humanisierung von Arbeit zu ermöglichen.

Du hast die Ängste vieler Beschäftigter vor Jobverlust angesprochen. Decken sich diese Ängste mit eure Beobachtungen?

KI ist bislang nicht der Tsunami auf dem Arbeitsmarkt, der auf Knopfdruck unzählige Arbeitsstellen verschwinden lässt. Was wir gelernt haben ist, dass auch KI Arbeit braucht. Es ist ein Mythos, dass sich KI von Geisterhand selbst programmiert. Wenn man beispielsweise einen Chatbot entwickelt, dann muss man die Beschäftigten dabei integrieren, die bisher diese Arbeit gemacht haben. Ebenso muss KI auch immer wieder gewartet werden. Durch diese Prozesse kann wiederum die Arbeit der Beschäftigten aufgewertet werden.

KI wird von der Fertigung bis in die Büros eingesetzt, das geht bisweilen bis in die hochqualifizierte Arbeit, wie etwa der Softwareentwicklung. Wir sind heute an einem Scheideweg angelangt: Auf der einen Seite haben wir ein negatives Szenario, dass KI vermehrt für digitale Fließbänder genutzt wird. Auf der anderen Seite sehen wir Beispiele, in denen die Einführung von KI die Tätigkeit von Beschäftigten aufwertet.

Kannst du ein Beispiel für eine solche Aufwertung geben?

KI wurde beispielsweise in einer unserer Fallstudien in der Lohnbuchhaltung eingesetzt. Das ist grundsätzlich oftmals eine sehr repetitive und monotone Aufgabe. Durch die Nutzung von KI in Verbindung mit der Expertise der Sachbearbeitenden wurde dieser Arbeitsprozess erfolgreich verändert. Die Beschäftigten arbeiten weiterhin, allerdings anders: Sie sind etwa für die Analyse und Instandhaltung der KI verantwortlich. Das wiederum hat die Arbeit der Sachbearbeitenden deutlich aufgewertet.

Mit dem Beispiel sind wir auch beim Titel eures Buches angekommen: Was genau ist Human Friendly Automation?

Wir haben 2019 mit unserem Projekt HumAIn Worklab begonnen, KI intensiv zu erforschen. Wir sind in unserem Projekt auf die Initiative Human Friendly Automation gestoßen. Die Initiative ist ein Grassroots Network, das aus der Praxis entstanden ist und bei dem viele KI-Expert*innen beteiligt sind. Hauptpunkt der Initiative ist eine gemeinsame Überzeugung: Wir dürfen KI nicht länger alleine betriebswirtschaftlich beurteilen. Der Fokus muss vielmehr auch auf die Folgen von Künstlicher Intelligenz für die Beschäftigten gelegt werden.

Das klingt spannend, aber auch anspruchsvoll. Wie genau will die Initiative denn ihr Anliegen vorantreiben?

Es wurde eine Werte-Charta entwickelt, die festhält, wie man KI so in Unternehmen nutzen kann, dass Arbeitnehmer:innen nicht um ihre Arbeitsplätze fürchten müssen und sogar eine Aufwertung ihrer Arbeit erfahren. Die Bewegung ist breit angelegt, es wirken Beschäftigte bis hin zu DAX-Vorständen mit. An unserem Buchsind Betriebsräte aus der Automobilindustrie beteiligt, aber auch Gründer von Start-Ups.

Der Mensch soll bei Entscheidungen hinsichtlich des Einsatzes von KI im Mittelpunkt stehen. Wir dürfen nicht nur das machen, was sich betriebswirtschaftlich rentiert oder einfach technologisch möglich ist. Stattdessen muss mit den Angestellten gemeinsam an einer innovativen Transformation gearbeitet werden, von denen auch sie profitieren.

Welche Rolle können Betriebsräte bei dieser Entwicklung spielen?

Den Betriebsräten kommt eine wesentliche Rolle zu. Daher freuen wir uns auch, dass an unserem Buch einige Betriebsräte mitgewirkt haben. KI kann in den Betrieben nur dann nachhaltig genutzt werden, wenn sich die Beschäftigten in die Projekte einbringen können und wollen. Dafür benötigen sie Sicherheit und Zukunftsperspektiven. Damit solche Rahmenbedingungen entstehen, sind Betriebsräte unverzichtbar.

Das Buch „Human Friendly Automation – Arbeit und Künstliche Intelligenz neu denken“ kann bei Frankfurter Allgemeine Buch bestellt werden.

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Beteiligte Person

Prof. Dr. Tobias Kämpf